tisdag, november 04, 2008

Transformation of A.

Längere Namen kürzt man ja gern. In jeder Kindergartengruppe und Schulklasse, die ich besuchte gab es mindestens einen Alexander. Bis Anfang der 1990er nannten wir sie "Ali", oder den einen "Ali" und den anderen "Alex", des Unterschied wegens.
Ali traf ich zum ersten Mal im Februar 1986. Wir waren gerade nach Berlin gezogen. Im Hof gab es einen Sandkasten, ein Teppichklopfgerüst und eine Schaukel, Westschaukel. Unsere Wohnung war klein; Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Aussenklo. Meine Mutter war hochschwanger. Im Flur roch es immer ein bisschen nach Hund. Wir wohnten ganz unten, Parterre.
"Dass ist meine Schaukel", waren Alis erste Worte. Er war ein halbes Jahr jünger als ich. Halbes Jahr und 20 Tage. Wenn man 6 Jahre alt ist, dann ist dieser Unterschied wichtig, denn er war erst fünf. Ali war drahtig, geschickter und schneller als ich. Wir stritten uns später noch um seine Schaufeln, seine Harke, seine und meine Matchbox-Autos. Ich war größer als Ali. Da alle Nachbarkinder an der Ostsee brutale Jungs waren, gewann ich gegen Ali, wenn wir uns prügelten. Wir wurden zusammen eingeschult. Wir brachten gemeinsam Altstoffe zum SERO. Ich half ihm bei den Hausaufgaben. Er borgte mir seine Schlümpfe. Wir kletterten über den Zaun zum Gartenbauamt . Wir hielten die wenigen Autofahrer an, die durch unsere Strasse fuhren, lächelten und sagten "5 Mark Zollgebühr". Ali sagte "D-Mark". Wenn unsere Eltern ausgingen, teilten wir uns die Stunden vor dem Fernseher. Als mein Bruder endlich geboren war, teilten wir auch ihn. Aus Ali wurde "mein Ali". Wahrscheinlich hatten wir im RIAS gehört, dass es abends ein Feuerwerk geben würde und standen deshalb ab und zu mit unseren Familien auf unserem Dach und guckten gespannt Richtung Westen. Seine Mutter war geschieden. Regelmäßig flog Ali mit seiner Oma nach Prag, um seinen Vater zu besuchen. Trotz Scheidung verstanden sie sich die Eltern gut. Besser als meine, auf jeden Fall. Auf der Insel der Jugend waren Ali und ich mal für 5 Minuten der große Lacher am Internationalen Kindertag, der in der DDR groß gefeiert wurde. Ein Zauberer rief uns zu sich. Die ganze Show endete damit, dass ich mich vor einer Schlange in einem Wäschekorb so sehr erschrak, dass ich von der Bühne rannte und flennte.
Wir tauschten unsere kleine Wohnung gegen eine größere, irgendwann im Winter 1989.
Im Sommer darauf begannen die Demonstrationen.
Kurz nach dem Mauerfall zogen Ali und seine Mutter nach Düsseldorf. Wir besuchten sie dort. Mitte der 90er waren sie wieder zurück in Berlin, Steglitz diesmal. Wir sahen uns noch ab und zu. Meistens dann, wenn die Eltern sich trafen oder wir Geburtstag hatten. Ali sass dann an seinem Computer und ich guckte zu wie er Computer spielte. Seine Mutter war anfällig für Esoterik. Ich fand sie immer toll, weil sie so gut zuhören und herzhaft lachen konnte. Ali und sie fuhren im Sommer nach Holland zum Yogalager. Ali berichtete mir nicht in Einzelheiten von seinen Erfahrungen dort. Er fing an Haschisch zu rauchen. Ich durfte ihn nicht mehr Ali nennen, sondern nur noch Alex. Später dealte er. In der Schule lief es immer schlechter. Das letzte Mal sah ich ihn, als seine Mutter ihren Geburtstag feierte, Januar 1999, in Steglitz. Sein Vater war auch da. Ich steckte im Abi. Für Alex war in der Schule schon alles mehr oder weniger den Bach runter gelaufen. Schlecht sah er aus. Fettige lange Haare, nicht mehr drahtig, sondern mager. Er bewegte sich langsam. Jessy hieß die Freundin, mit der er sich die Joints teilte. "Räuberhöhle", dachte ich, als ich das Zimmer im Haus seiner Mutter sah. Irgendwie war es wohl besser für alle, dass er sich zu Hause bekiffte, als dort, wo sie ihn nicht mehr finden würden. Jessy wurde mit 16 oder 17 schwanger von ihm. Soweit ich weiß, hat er seine Lehre abgebrochen und keinen Kontakt zu seinem Kind. Bis auf das Hin-und Hergeziehe ging es Alex eigentlich immer gut. Er hatte alle Vorraussetzungen. Geld war da. Liebe war da. Heute musste ich an ihn denken, als ich eigentlich über das Geschenk schreiben wollte, dass am Montag hier eintraf, und darüber wie sehr ich Anne mit den roten Haaren geliebt habe und Marilla und Matthew Cuthbert und wie es mich gerührt hat, dass sie es für mich ausgesucht hat, obwohl ich mir doch eigentlich nicht viel aus meinem Geburtstag mache.

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