fredag, oktober 28, 2005

Judith Hermann schläft ein


Doch bevor sie das tut, liest sie noch aus Sommerhaus später. Ich bin ein bißchen enttäuscht, hatte darauf gehofft, dass sie aus Nichts als Gespenster liest. Schön, wie sie vorliest. Und ich erinnere mich daran, wie fremd mir Sommerhaus später war als ich es vor Jahren las. Damals surfte ich wie alle auf der Welle der Allerneuesten deutschen Literatur und dass Reich-Ranicki sie so lobte, das gab mir den Anstoß das Buch zu kaufen. Es brauchte mehrere Anläufe und ich fand die Geschichte so lala. Viel besser gefiel mir Nichts als Gespenster. Judith Hermann ist erwachsener geworden und ich wurde es auch. Die M. schenkte mir Sommerhaus später, als ich nach Finnland zog, zu meinem ersten Geburtstag hier, 2003 war es. So stand Sommerhaus später, die Taschenbuchausgabe, auch im Regal. Sie hatte es mit einer lieben Widmung versehen. Zum Weiterverschenken war es somit nicht geeignet. Dem A. borgte ich die englische Version, damit er einen Einblick bekommt in das, was man heute so schreibt, in Deutschland und in erster Linie, damit er sich auch ein bißchen mehr für mich interessiert. Er hat sich nicht so sehr für mich interessiert, wie ich es mir gewünscht hätte. Ob er das Buch las, weiß ich nicht.

Nachdem Judith H. die Titelgeschichte vorgelesen hatte, hatte das Publikum die Gelegenheit die Autorin zu befragen und ich finde es immer wieder bemerkenswert, wie dann alle, stumm auf den Boden gucken, sich nicht so recht trauen, etwas zu sagen. Eine Situation, wie in der Schule, damals, als niemand die Antwort wußte oder ein Schüler herausgepickt wurde zur mündlichen Leistungskontrolle im Physikunterricht. Ein paar trauen sich dann doch noch etwas zu fragen.

Nach Judith Hermann liest Hannes Stein. Der Unterschied könnte größer nicht gewesen sein. Zusammen sind sie für gut eine Woche in Finnland unterwegs und lesen hier und da. Ich frage mich, ob sie auch abends zusammen essen gehen oder im gleichen Hotel untergebracht sind und worüber sie denn reden. Ob sie überhaupt miteinander reden können? Ihre Literatur ist so unterschiedlich, Stein schreibt Satire und will dem geneigten Leser auf Journalistendeutsch beibringen nicht mehr zu denken. Ausser dass der Protagonist in Hermanns Titelgeschichte auch Stein heißt, scheint sie nichts zu verbinden.

Ich gucke nach rechts, da sitzt Judith Hermann, es sieht aus als verstecke sie sich in dem grossen Tuch, was um Hals und Schultern gewickelt ist. Hannes Stein liest weiter und Judith Hermann nickt ein wenig ein. Wie sympatisch, denke ich, nehme nach der Lesung noch ein Glas Wein, schaue mir die schönen Fotografien in den Räumen des Instituts an, rede Belangloses mit dem G., der mein Dozent ist und hole mir kein Autogramm.

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